Vom verstellten Bijou zum Kulturplatz

30.12.2014 – Neue Zürcher Zeitung
von Irène Troxler

Zürichs schönster Platz ist ein Parkplatz. 2015 wird der Münsterhof endlich autofrei. Genutzt wird er künftig vor allem kulturell. Gespannt sein darf man auf die Gastronomie.

1.-Mai-Kundgebung im Jahr 1939. (Bild: RDB)
1.-Mai-Kundgebung im Jahr 1939. (Bild: RDB)

An einem Espresso nippen, die Passanten beobachten und den Blick über einen weiten Platz mit altehrwürdigen Häuserfassaden schweifen lassen: Was den Aufenthalt in vielen italienischen und französischen Städten so reizvoll macht, ist in Zürich kaum möglich. Der einzige einigermassen grosse Platz in der Altstadt ist seit Jahrzehnten mit parkierten Autos überstellt. Der Münsterhof ist zwar nicht gerade eine Piazza della Signoria. Die verwinkelte Form, die Fassade des Fraumünsters und die stramm nebeneinanderstehenden Bauten aus mehreren Jahrhunderten strahlen aber einen Charme aus, der zum Verweilen einlädt.

Tanz, Musik, Kunst, Markt

Das Zürchervolk sagte schon im Jahr 2003 Ja zu einem autofreien Münsterhof. Am 23. Februar 2015 wird nun die erste Hälfte der Parkplätze abgesperrt. Bevor die zurückhaltende Umgestaltung des Platzes beginnen kann, stehen bis im Oktober archäologische Grabungen auf dem Programm. Auf dem Münsterhof befand sich im Mittelalter nämlich der Friedhof des Fraumünsters. Dölf Wild, der Leiter der Stadtarchäologie, erwartet aufgrund von früheren Grabungen auch, Überreste der Jakobskapelle aus karolingischer Zeit zu finden. Und er hofft auf neue Informationen zur Entstehung des Platzes im Spätmittelalter.

Zürichs schönster Platz ist ein Parkplatz. 2015 wird der Münsterhof endlich autofrei. Genutzt wird er künftig vor allem kulturell, allerdings an maximal 110 Tagen pro Jahr. Gespannt sein darf man, ob sich auch gastronomisch etwas tut.
Zürichs schönster Platz ist ein Parkplatz. 2015 wird der Münsterhof endlich autofrei. Genutzt wird er künftig vor allem kulturell, allerdings an maximal 110 Tagen pro Jahr. Gespannt sein darf man, ob sich auch gastronomisch etwas tut.

Die in der Vereinigung Münsterhof zusammengeschlossenen Anrainer hatten sich lange gewehrt gegen einen autofreien Münsterhof. Nun aber haben sie die Initiative ergriffen für eine leise, aber feine Nutzung. Ende November dieses Jahres haben sie den Förderverein Kulturplatz Münsterhof gegründet. «Wenn wir uns nicht engagieren, dann kommen andere», sagt der Präsident Hans-Hinrich Dölle, Mitglied der Kirchenpflege Fraumünster. Zudem sei ein leerer Platz kein Gewinn fürs Quartier. Man wolle einen belebten Münsterhof, aber keinen Veranstaltungsrummel.

Keine Eventitis

Mit den Anrainern zusammen hat die Stadt ein Konzept entwickelt, das auf wenige, aber hochstehende Kulturveranstaltungen setzt. Anna Schindler, die Direktorin der Zürcher Stadtentwicklung, spricht von einem Jahreszeiten-Konzept: Im Frühling soll das Festival «Zürich tanzt» den Platz bespielen; im Frühsommer sind die Zürcher Festspiele an der Reihe mit Konzerten, im Spätsommer soll der Platz zu einem Gastraum für Kunst im öffentlichen Raum werden, und im Oktober ist in Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste ein dreitägiges Kunst- und Theaterfestival geplant. In der Vorweihnachtszeit schliesslich steht ein Weihnachtsmarkt auf dem Programm. An maximal 110 Tagen pro Jahr sollen Veranstaltungen stattfinden. Gastrecht werden weiterhin auch der Silvesterlauf geniessen, das alle drei Jahre stattfindende «Züri-Fäscht» und das Sechseläuten. Eher nicht mehr geben soll es hingegen nach den Wünschen der Anwohner künftig Public Viewings wie an der Euro 08. Der Förderverein beugt sich bereits über die Detailplanung von Kulturveranstaltungen. Bereits während der Bauzeit steht einiges auf dem Programm, beispielsweise ein Konzert von Stadtmusik und Fraumünster-Orgel auf dem Platz, während gleichzeitig archäologische Funde präsentiert und das Münsterhof-Bauprojekt vorgestellt werden. Generell will die Kirche den Platz nutzen, um bei gutem Wetter Chorauftritte oder Konzerte ins Freie zu verlagern. Vorgesehen ist ferner etwa ein Stummfilm-Festival mit Orgelmusik. Ein Eröffnungsfest mit diversen Kulturangeboten ist ebenfalls in Planung. Für Dölle ist es zentral, dass der Platz nicht mit Bühnen und Zelten verstellt wird, wenn Veranstaltungen stattfinden. «Wir planen Anlässe, die bei Regen in die Kirche oder in den Kreuzgang verlegt werden können.» Grosse Events brauchten zu viel Zeit, um ihre Infrastruktur aufzustellen, und trügen letztlich nichts zur Belebung des Platzes bei, sagt er aus Erfahrung. Finanziert werden die Aktivitäten des Fördervereins vorerst aus Gönner- und Mitgliederbeiträgen. Man sei aber auf die Unterstützung der Stadt angewiesen – einerseits wegen der nötigen Bewilligungen, aber auch weil die eine oder andere Veranstaltung nicht ohne einen finanziellen Zustupf aus dem Kulturbudget auskomme, sagt Dölle.

Knackpunkt Gastronomie

Wie gut die angestrebte Belebung des autofreien Platzes gelingen wird, dürfte stark vom gastronomischen Angebot abhängen. Von Piazza-Gastronomie war zwar immer wieder die Rede, ob sich der Münsterhof aber wirklich anfühlen wird wie eine italienische Piazza, ist zweifelhaft. Das Problem sei, dass es ausser dem Pressecafé kaum einen Betrieb im Parterre gebe, sagt Lorenz Schmid, Vorstandsmitglied der Vereinigung Münsterhof und Inhaber der Apotheke an der Poststrasse. In den Zunfthäusern «Meise» und «Waag», im «Münsterhof», der sich zurzeit im Umbau befindet, und im «Heugümper» fehle die nötige Infrastruktur, um Boulevardtische in grosser Zahl zu bewirten. Immerhin zeigten sich «Waag» und «Heugümper» interessiert. Nun hofft man, auch die «Meise», die sich an der attraktivsten und sonnigsten Ecke des Platzes gegen die Limmat befindet, werde die Chance packen. Denn Passanten gibt es genug auf dem Platz: Hunderttausende besuchen das Fraumünster mit seinen Chagall-Fenstern jedes Jahr. Zudem könnte der autofreie Platz zur attraktiven Fussgängerverbindung zwischen Bahnhofstrasse und Niederdorf werden.

Auch das Thema Wochenmarkt ist leider wieder versandet. Dölle gefiel die Idee, die Marktbuden, die es früher vor dem Fraumünster gab, wieder aufleben zu lassen, aber die Denkmalpflege wollte davon nichts hören. Für einen Wochenmarkt konnten sich die Anrainer nicht erwärmen, weil sie den Lärm in den frühen Morgenstunden fürchteten, den der Aufbau der Stände mit sich bringt. Zudem schien ihnen der Platz zu klein für einen richtigen Markt. Allerdings lässt die kürzlich geänderte Marktverordnung Zürichs heute auch Märkte zu anderen Tageszeiten als am Morgen zu. Gegen einen Delikatessenmarkt auf dem Münsterhof, beispielsweise am Samstagnachmittag, würde also wenig sprechen.

Münster aufs Podest?

Kommt es nicht zu Verzögerungen wegen unerwarteter archäologischer Funde, so soll der neue Münsterhof 2016 eröffnet werden. Ein Blickfang dürfte der neue Brunnen werden, der über einen vier Meter hohen Zulauf aus Bronze zwei Becken mit Trinkwasser versorgt. Mit den Autos verschwinden auch die Trottoirs, und Velos dürfen neu auf dem gesamten Platz verkehren. Gepflastert wird er mit sogenannten Gubersteinen aus der Innerschweiz, wobei sich ein innerer Kreis um den Brunnen optisch vom Rest abheben soll. Dort kommen auch Bänke hin; auf die ursprünglich vorgesehenen Bäume will man hingegen verzichten.

Zu reden gibt im Moment vor allem der geplante Asphaltstreifen mit Randstein um das Fraumünster herum. Nicht einmal die Kirchenpflege finde es richtig, das Münster optisch auf einen Sockel zu stellen, sagt Dölle. Ihren Haupteingang hat die Kirche bereits 2013 wieder zum Platz hin verschoben, wo er sich bis zum frühen 20. Jahrhundert befand. Im Windfang des ehemaligen Eingangs von der Limmatseite soll nun ein Informationsraum entstehen. Vorerst werden dort archäologische Funde gezeigt sowie die Pläne für den Platz. Nach seiner Fertigstellung ist eine kleine Dauerausstellung zur Geschichte des Münsterhofs und des Fraumünsters geplant. Insgesamt kommt die Neugestaltung des Münsterhofs auf knapp acht Millionen Franken zu stehen.

 

Ein geschichtsträchtiger Platz
tox. ⋅ Der Zürcher Münsterhof wurde um das Jahr 1300 durch die Äbtissinnen des im Jahr 853 erbauten Fraumünsters geschaffen. Sie wollten damit offenbar ihrer Stellung als Stadtherrinnen und Reichsfürstinnen Ausdruck verleihen. Im 14. Jahrhundert wohnten denn auch vor allem Beamte der Abtei am Platz, wie Dölf Wild, Leiter der Zürcher Stadtarchäologie, in einem wissenschaftlichen Aufsatz schreibt. 700 Jahre lang öffnete sich das Haupttor der Kirche zum Münsterhof hin, der bald zu einem wichtigen Ort in Zürichs Stadtgeschichte wurde. In der Nacht auf den 24. Februar 1350 beispielsweise wurden hier in der sogenannten Mordnacht von Zürich erbitterte Strassenkämpfe um die Zunftverfassung geführt.

Auch im Jahr 1839, als mit dem Züriputsch die radikalliberale Zürcher Regierung gewaltsam zur Abdankung gezwungen wurde, fanden die Gefechte zu einem grossen Teil auf dem Münsterhof statt, wie alte Darstellungen zeigen. Aber selbstverständlich ging es nicht immer blutig zu und her auf dem Münsterhof. Über viele Jahrhunderte diente der zentral gelegene Ort als Marktplatz. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sind Viehmärkte belegt, insbesondere der Schweinemarkt. Und ab dem 17. Jahrhundert wurden hier Jahrmärkte abgehalten sowie freitags der Kornmarkt. In der frühen Neuzeit vereidigte die Stadt Zürich auf dem Münsterhof ihre neu gewählten Ratsmitglieder, und die Bürgerschaft schwor dem Bürgermeister den Treueeid. Im 20. Jahrhundert schliesslich traten unter anderen die britische Queen und Winston Churchill hier vors Volk und im 21. der Dalai Lama.